Die Schweizer Wochenzeitung Die Weltwoche veröffentlichte einen Artikel von Andrija Stojković zum Thema der letzten Parlamentswahlen in Kosovo, als Replik auf den Artikel von Alfred Heer, Nationalrat der Schweizer Volkspartei SVP (Knospen der Hoffnung im Kosovo, Die Weltwoche Nr. 07.21).

Der vollständige Artikel von Andrija Stojković:

Kosovo soll werden wie die Schweiz

Damit der Frieden gewahrt bleibt, bräuchte das Kosovo einen serbischen Kanton. Leider hat es die Schweiz verpasst, eine solche Lösung zu vermitteln.

Es ist erfreulich, wie sachlich und offen Alfred Heer als Gründer der Handelskammer Kosovo–Schweiz die Fakten zur allgemeinen Lage im Kosovo beschreibt (Weltwoche Nr. 7/21). Er hebt vor allem die Bedeutung der wirtschaftlichen Entwicklung hervor. Mutig ist dabei seine Aussage, dass es dazu eine Friedenslösung braucht.

Damit bestätigt er die Befürchtungen aller Kritiker der einseitigen Unabhängigkeitserklärung von vor dreizehn Jahren, dass dies keine nachhaltige und eine viel zu verfrühte Entscheidung war. Der weiterhin ungeklärte Status schafft mehr Probleme, als er löst. Als Beispiel kann die Uefa-Mitgliedschaft des Kosovo erwähnt werden, die nur dank eines «Meisterwerks abendländischer Rabulistik» (FAZ) überhaupt möglich wurde.

Der ungelöste Status ist dafür verantwortlich, dass viele junge Albaner an eine Ausreise aus dem Kosovo nach Westeuropa denken, notfalls auch mit dem visabefreiten serbischen Pass. Die 200 000 vertriebenen Serben von 1999 denken erst recht nicht daran zurückzukehren. Kfor-Truppen müssen über zwanzig Jahre nach Kriegsende immer noch das serbische Kloster Visoki Decani, erbaut um 1330 nach Christus, beschützen. Die Einwohner serbischer Enklaven im Süden des Kosovo werden bedroht.

Clinton-Statue in Pristina

Wie Heer erläutert, haben die USA mit Militärgewalt Fakten geschaffen. So grüsst heute in Pristina eine winkende Statue des amerikanischen Ex-Präsidenten Bill Clinton, als ob man keine eigene Geschichte hätte. Im Kosovo steht eine der grössten Militärbasen der USA in Europa. Beides kann man als Symbole des modernen Kolonialismus sehen und daher das Kosovo als amerikanisches Protektorat bezeichnen, wie Heer schreibt. Doch ohne diesen Kolonialismus wäre es nie zu einer Unabhängigkeitserklärung gekommen. So gesehen sind die antikolonialistischen Wahlparolen von Wahlsieger Albin Kurti widersprüchlich.

Dass die EU «keine Impulse» setzen kann, liegt auf der Hand. Fünf EU-Staaten erkennen das Kosovo weiterhin als autonome Provinz innerhalb der staatlichen Souveränität Serbiens an. Spanien kann keine einseitige Abspaltung akzeptieren, sonst würden neue Staaten auf der Iberischen Halbinsel entstehen. Die Uno-Resolution 1244 gilt weiterhin, so dass eine Uno-Mitgliedschaft des Kosovo als Staat nur mit Einverständnis Russlands und Chinas möglich ist, was wiederum in naher Zukunft praktisch ausgeschlossen ist. Viele Staaten haben zudem die Anerkennung des Kosovo zurückgezogen, so dass dessen Unabhängigkeit von weniger als hundert Staaten anerkannt wird.

Ist eine friedliche Einigung im Interesse der Schutzmächte? Wohl kaum, sonst hätten die Amerikaner auf Ibrahim Rugova und seinen nichtmilitärischen Widerstand vor 25 Jahren gesetzt. Dass ein direktes Abkommen zwischen Albanern und Serben möglich war und ist, sieht man am Beispiel des Bildungsabkommens zwischen Rugova und Slobodan Milosevic von 1996.

Vermutlich auf amerikanischen Druck, der aus geopolitischem Kalkül entstand, folgte die Anerkennung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung auch seitens der Schweiz – viel zu früh und entgegen den Gepflogenheiten eines neutralen Landes. Die Öffnung der Archive wird uns mehr Klarheit verschaffen, falls die Unterlagen nicht «verlorengehen» wie gewisse Beweise oder Zeugen zum Organhandel beim Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

Aber es geht nicht um die Anzahl der Anerkennungen und Aberkennungen; Nordzypern wird nur durch die Türkei als Staat anerkannt und ist trotzdem ein Sondergebiet der EU. Es geht um eine Lösung, bei der beide Seiten am Ende friedlich zusammenleben können. Und bei der ein Szenario wie jüngst in Berg-Karabach oder 1995 in der Krajina in Kroatien verhindert wird. Oder anders gefragt: Was braucht es, dass die Fussballmannschaften des Kosovo und Serbiens miteinander beispielsweise in der Schweiz Fussball spielen können?

Schnellstmöglicher Beitritt zur EU

Eine Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock wäre ideal gewesen. Die neutrale Schweiz hätte eine Einigung zwischen Belgrad und Pristina vermittelt, bewacht und beschützt unter anderem von serbisch- und albanischstämmigen Soldaten in Schweizer Armeeuniformen. Doch leider hat es die Schweiz verpasst, sich als lösungsorientierte und unabhängige Seite zu präsentieren.

Was wäre eine mögliche nachhaltige und friedliche Lösung? Vermutlich eine föderative, kantonale Struktur des Kosovo nach Schweizer Vorbild. Mit einem serbischen Kanton im Kosovo, der alle Kirchen und Klostergüter mit einbeziehen würde. Darin könnten die Interessen der serbischen Bevölkerung gewahrt werden. Im Gegenzug dürfte das Kosovo mit Hilfe Serbiens wohl allen internationalen Organisationen beitreten, auch ohne Uno-Mitgliedschaft.

Der nächste Schritt wäre der schnellstmögliche Beitritt des Kosovo und Serbiens zur EU, in der die Grenzen ohnehin keine grosse Rolle mehr spielen. Alfred Heer könnte sich dann viel einfacher für ein starkes Wirtschaftswachstum im Kosovo einsetzen, und der Handelskammer Kosovo–Schweiz würden auch Serben beitreten.

Andrija Stojkovic, 31, hat serbische Wurzeln im Kosovo, ist Offizier der Schweizer Armee und Ingenieur.

https://www.weltwoche.ch/ausgaben/2021-9/diese-woche/kosovo-soll-werden-wie-die-schweiz-die-weltwoche-ausgabe-9-2021.html